Langsam laufen lernen

Langsam laufen lernen

Oder vielleicht besser: „Langsamer laufen lernen“. Da draußen muss ich mich oft bremsen. Um Trainingspläne, körperliche Entwicklungen, Regenerationszeiten und all den Kram habe ich mich jahrelang nicht geschert. Laufschuhe an, raus, Vollgas. Das war natürlich naiv. Aber dummerweise hat das immer geklappt. Ist auch nicht so schwer, wenn man quasi an der Nulllinie anfängt. Da geht es gefühlt schnell voran, egal wie planlos man die Sache angeht. Und bevor mein Körper mir das Gegenteil hätte beweisen können, hatte ich längst wieder aufgehört.

Ich bin kein Typ, der gerne Ratschläge annimmt. So überhaupt nicht. Nichtmal von mir selbst. Im Fitness-Studio habe ich nie eine Trainer-Stunde in Anspruch genommen – auch nicht, wenn die ohnehin im Vertrag enthalten war. Ich lese keine Bedienungsanleitungen, bevor ich einen Schrank aufbaue oder einen Fernseher anschließe. Ich schaue keine Youtube-Tutorials. Learning by doing, das ist mein Ding. Ich bin gut darin. Aber ich habe begriffen, dass es auch bei mir Grenzen hat.

Do-It-Yourself im Fitness-Studio: Tipps nicht willkommen…

Es gibt vielleicht ein paar Argumente, die auch mich dazu bringen, mir Ratschläge anzuhören und Basiswissen zu erarbeiten. Wenn ich bei etwas drauf gehen könnte zum Beispiel, das wäre dann doch doof. Oder in medizinischen Fragen. Im Job. Okay, vielleicht gibt es nur drei Bereiche. Das sagt natürlich etwas über mich: Es fällt mir schwer und es kostet mich Überwindung.

Mit Blick auf das Laufen hat mir das bisher nur unbewusst geschadet. Angefangen habe ich ohnehin erst mit Ende 20. Ich bin oft monatelang gar nicht gelaufen. Im Winter war’s zu kalt. Regen ist doof. Im Sommer zu heiß. Dann fehlte die Zeit. Puh, Ausreden gab es genug. Dabei hatte ich auf die Rennen echt Bock. Nur eben nicht auf die Vorbereitung. Ich habe schnell gemerkt, dass ich nach ein paar wenigen Übungsläufen einen Halbmarathon unter zwei Stunden hinbekomme. Mal zehn Kilometer sind auch ganz ohne Vorbereitung drin. Also warum den Aufwand betreiben oder gar jemanden um Hilfe bitten?

Halbmarathon 2015 in Karlsruhe: 21 Kilometer sind auch ohne große Vorbereitung drin.

Auch das ist natürlich naiv. Aber es war bequem. Am meisten gelernt habe ich dann aus meiner größten Niederlage. 2017 in Heidelberg. Dort hat es mich richtig zerlegt. Die Strecke hat mir die Grenzen meiner Vorbereitungsverweigerung aufgezeigt. Ich hatte in dem Jahr sogar etwas mehr trainiert als jemals zuvor. Ich bin im Sommer den Aletsch-Halbmarathon in der Schweiz gelaufen. Ich merke gerade, dass ich ganz schön abgeschweift bin. Sorry, aber ich kriege den Bogen gleich!

In der Vorbereitung war ich mehrfach am Turmberg in Karlsruhe, war für einige Zeit zwei- bis dreimal die Woche laufen. Ohne großen Plan, aber immerhin Kilometer unter den Schuhen. Am Aletsch-Gletscher hat das funktioniert. Ich war unter drei Stunden im Ziel, so wie vorher erhofft.

„Ein persönlicher Walk of Shame“

Doch dann kam die Arroganz. Ich meldete mich für den Trail-Marathon im Oktober 2017 in Heidelberg an. Sollte sich ja lohnen, die ganze Arbeit aus dem Frühjahr. Dumm nur, dass ich nach dem Halbmarathon im Grunde nichts mehr gemacht habe. Über Wochen standen die Schuhe im Schrank. Fast schon ein Wunder, dass ich in Heidelberg trotzdem über 30 Kilometer weit kam, ehe Schluss war. Ich bin mit der Bahn zurück in die Stadt gefahren. Ohne Ticket. Ein persönlicher Walk of Shame. Das war kein gutes Gefühl. No Pain, no gain, das war spätestens jetzt klar.

Nach dem erfolglosen Trail-Marathon hat es fast zwei Jahre gedauert, bis ich mir wieder eine neue Lauf-Herausforderung gesucht habe. Noch extremer und fordernder als die, an der ich 2017 gescheitert bin. Dieses Mal muss und wird es deshalb anders laufen – im wahrsten Sinne des Wortes.

In „Langsam laufen lernen“ – da ist der Bogen! – steckt deshalb womöglich mehr Wahrheit als ich zugeben möchte. „Langsamer“ ist nur ein kleiner Teil davon, ein Symptom meines eigentlichen Problems. Ich habe den Trail-Marathon nicht überstanden, weil ich keinen Plan durchgezogen habe. Oder korrekterweise: weil ich nichtmal einen hatte. Für den Transalpine Run wird das umso mehr gelten.

Blick nach oben: Der Aletsch-Halbmarthon führt von der Bettmeralp zum Bettmerhorn.

Ich breche nichts übers Knie. Lasse mir bewusst eineinhalb Jahre Zeit. Um das große Ziel Transalpine Run geht es dabei noch gar nicht. Das kommt vielleicht zum Ende des Jahres. Ich beschäftige mich jetzt zum ersten Mal in meinem Leben wirklich mit dem Laufen. Was gehört dazu? Wie bereite ich meinen Körper auf die Belastungen vor? Wie lässt sich ein Trainingsplan gestalten? Wie geht man es richtig an? Welche Zwischenziele sind sinnvoll? Wo liegen meine Grenzen und wie erkenne ich sie? Viele Antworten kenne ich noch gar nicht. Eine Richtung gibt mir der Klassiker „Das große Laufbuch“ von Herbert Steffny. Trotzdem muss ich daraus in den nächsten Monaten meinen eigenen Weg destillieren.

Ich muss also tatsächlich „langsam laufen lernen“. Einer der ersten Schritte dorthin war das „langsamer laufen lernen“. Ich bin seit März mindestens jeden zweiten Tag unterwegs. Am Anschlag bin ich dabei eigentlich nie. Ich nehme bewusst raus. Gott, nervt das! Besonders wenn man spürt, dass noch Luft nach oben ist und trotzdem ein anderer Läufer vorbeizieht. Aber es gibt dem Körper die notwendige Zeit, sich zu entwickeln – meine erste Lektion. Nicht jeder Tag ist ein Wettkampf, die Zeit ist nicht das wichtigste. Das mache ich mir bei jedem Schritt klar.

Natürlich gehört mehr zu einem vernünftigen Trainingsplan. Wie er für mich funktioniert, das teste ich gerade aus – aber dieses Mal nicht auf der Basis meines Egos, sondern auf der von Profitipps. Ich probiere mich zum ersten Mal an Intervall-Läufen. Trail- und Bergrunden habe ich wegen meines Fernziels immer wieder drin. Langsame Läufe über mehr als 20 Kilometer gab es früher auch nie. Jetzt fühle ich mich damit sogar wohl. Ich habe entschleunigt. Und ziehe die Freude nicht allein aus dem Wettkampf, sondern vor allem aus dem Weg dorthin. Der führt auf jeden Fall über den Trail-Marathon in Heidelberg, denn die offene Rechnung muss ich noch begleichen…


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